Und trotzdem wollen alle essen
Wie die Großküche im Klinikum Ingolstadt mit der Corona-Pandemie umgeht
Dass die Corona-Pandemie unser aller Leben ganz schön auf den Kopf gestellt hat, steht außer Frage. Auch im Klinikum Ingolstadt wurden Pläne umgeworfen, Strukturen verändert und Gewohnheiten überdacht – alles, um kein Sicherheitsrisiko einzugehen.
Was sich aber nicht geändert hat, ist der Hunger. Denn weiter essen wollten alle, sowohl Patienten als auch Mitarbeitende. Der Gang zur Kantine gehört für viele der rund 3000 Klinikumsmitarbeiter zum festen Ritual. Dass die Organisation der Küche schon vor Corona eine logistische Meisterleistung war, kann man sich bei täglich insgesamt rund 2500 Mittagessen vorstellen. Die Pandemie brachte zusätzlich neue Herausforderungen mit sich: Abstand, Maskenpflicht, weitere Hygieneauflagen.
„Wir hatten schon vor Corona sehr hohe Hygienestandards, unsere Mitarbeiter sind speziell dafür sensibilisiert“, erklärt Walter Zieglmeier, Leiter der Großküche des Klinikums Ingolstadt. „Dahingehend hat sich hier also gar nicht so viel geändert.“ Die regelmäßige Händedesinfektion und ein hygienischer Umgang mit Lebensmitteln sei schon vor der Pandemie selbstverständlich gewesen. Zusatzschulungen für das Küchenpersonal, wie man sich in dieser speziellen Situation verhält, gab es trotzdem. Außerdem haben ein paar Mitarbeiter gefehlt, die beispielsweise keine Kinderbetreuung hatten. Das Personal wurde trotzdem nicht knapp, was Zieglmeier vor allem dem großen Engagement seiner Mitarbeiter zuschreibt: „Hier geht ein riesen Lob an das Team, alle sind sehr diszipliniert!“
Eine Maßnahme, um das Gesundheitssystem zu entlasten, war auch, aufschiebbare, geplante Operationen vorläufig abzusagen – nicht nur im Klinikum Ingolstadt. Weniger Patienten bedeuten weniger hungrige Mäuler, oder? „Theoretisch ja“, antwortet Michael Dittenhauser, stellvertretender Küchenleiter des Klinikums. Und auch die Kindergärten und Schulen, die die Klinikumsküche vorher mit Essen beliefert hatte, waren ja geschlossen. Die Anzahl der Essen hat sich dennoch kaum verringert. „Tatsächlich kochen wir auch derzeit fast genauso viele Essen wir vor der Pandemie“, weiß Dittenhauser. Zieglmeier ergänzt: „Das liegt zum einen daran, dass wir nun als Notfallversorgung für andere Einrichtungen eingesprungen sind, deren Zulieferer ihre Küche dichtgemacht haben.“ Zum anderen aber auch daran, dass die Kosten für das Mittagessen für Klinikpersonal von April bis Juni vom Freistaat Bayern übernommen wurden. Eine Vorspeise, ein Hauptgericht, eine Nachspeise und ein Getränk konnte sich jeder Mitarbeiter während der Mittagszeit kostenlos nehmen. „In diesem Zeitraum haben wir täglich zur Mittagszeit knapp doppelt so viele Hauptgerichte an die Mitarbeiter ausgegeben wie vorher“, sagt er schmunzelnd.
Aber was passiert, wenn Küchenpersonal erkranken würde und plötzlich die halbe Belegschaft in Quarantäne müsste? Kochen aus dem Homeoffice gestaltet sich ja eher schwierig. Aber natürlich hat Walter Zieglmeier auch für diesen Fall einen Notfallplan in der Hinterhand. „Wir haben für den Notfall zwei große Lieferanten, die einspringen, falls wir die Versorgung der Patienten nicht mehr selbst leisten könnten.“ Zwei, falls einer der Lieferanten dasselbe Problem hätte. Doppelt hält besser. „Das ist wichtig, wir haben eine Verantwortung gegenüber unseren Patienten“, betont Zieglmeier, der die Küche im Klinikum bereits seit zwölf Jahren leitet.
Dass er diese Verantwortung sehr ernst nimmt, sieht man auch daran, dass es nach wie vor frisch gekochte, warme Mahlzeiten in seiner Küche gibt. Während aus anderen Einrichtungen zu hören gewesen sei, dass sie auf Lunchpakete umsteigen mussten, lag Zieglmeier immer viel daran, die Mitarbeiter nach wie vor mit „g’scheidem Essen zu versorgen“, wie er sagt. „Schließlich arbeiten alle im Haus tagtäglich hart, um den Laden am Laufen zu halten“, ergänzt Zieglmeier. Für die Zeit der Corona-Pandemie wird der Ebene 8 – dort, wo infektiöse Patienten versorgt werden – das Essen direkt geliefert. Damit sollen die ohnehin schon stark geforderten Kollegen zusätzlich entlastet werden, zum anderen aber auch der Kontakt der Mitarbeiter der Infektionsstation mit anderen Mitarbeitern des Hauses so weit wie möglich reduziert werden.
Denn das Casino ist der Ort im Klinikum, wo am meisten Mitarbeiter aus unterschiedlichen Abteilungen zusammenkommen. Und gerade hier ist es schwierig, die strengen Auflagen – wie etwa das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes – konsequent umzusetzen. Nicht umsonst gestaltet sich die Öffnung der Gastronomiebetriebe außerhalb des Klinikums schwierig. Davon kann auch Sabine Heigl, Leiterin des Casinos, ein Lied singen. Sie hat gemeinsam mit ihrem Team sowie der Hygieneabteilung des Klinikums ein Konzept erarbeitet, wie Mitarbeiter sicher im Casino essen können. So gehörte die Abschaffung der offenen Theken zu einer der ersten Maßnahmen – das Essen wird nun direkt vom Casino-Personal – geschützt hinter einer Glaswand – ausgegeben. Absperrbänder regeln die Laufrichtung und verhindern, dass sich Menschen zu nahe kommen. Das Casino wurde in insgesamt fünf Bereiche eingeteilt mit jeweils maximal 30 Sitzplätzen. Dafür wurden Tische und Stühle entfernt, pro Tisch dürfen maximal zwei Personen sitzen. So soll der Mindestabstand gewahrt werden. Wer sein Essen lieber außerhalb des Casinos essen möchte, bekommt sein Menü im Warmhaltebehälter. Das Besteck nimmt sich niemand mehr selbst, dafür gibt es eine feste Mitarbeiterin. Außerdem herrscht Maskenpflicht auf dem Weg hin zum Tisch und weg vom Tisch. „Das ist schon ein Ausnahmezustand, jeder Tag ist sehr turbulent“, sagt Heigl. Auch wenn bereits vor der Corona-Pandemie streng auf Hygiene geachtet werden musste, sei „das nochmal eine ganz andere Hausnummer“. Stündlich muss der komplette Ausgabebereich desinfiziert und der Raum gelüftet werden. Außerdem bedeuten die neuen Regelungen mehr Handgriffe für die Casino Mitarbeiter: „Da wir keine Selbstbedienungstheken mehr haben, müssen wir zum Beispiel jedes Salatschälchen einzeln in die Vitrinen stellen und viel mehr Hauptgerichte ausgeben als vorher“, ergänzt Heigl. Jeder Schritt sei jetzt zeitintensiver – und das mit gleichviel Personal, bei kaum eingeschränktem Angebot. Auch dass die Essensausgabe 45 Minuten früher begann, sei für das Casino-Team eine organisatorische Herausforderung gewesen.
Die Patienten dürften von den veränderten Abläufen „hinter den Kulissen“ nichts mitbekommen haben. Und auch für die Mitarbeiter ist – dank des durchdachten Konzeptes von Küche und Kantine – das tägliche Ritual „Casino“ noch immer sehr attraktiv. „Doch es ist immer noch Vorsicht geboten. Wir nehmen unsere Verantwortung für die Patienten und Mitarbeiter im Haus sehr ernst“, betont der Küchenchef.