Operative Therapiemöglichkeiten
Bei Harninkontinenz und Beckenbodenschwäche mit nachfolgender Senkung von Blase und/oder inneren Geschlechtsorganen (Blasen-/Gebärmutter-/Scheidenvorfall) kommen verschiedene Korrekturoperationen zum Einsatz. Die zur Verfügung stehenden Operationstechniken werden entweder durch einen Unterbauchschnitt oder von der Scheide aus durchgeführt. Neuerdings werden diese Eingriffe auch „minimal-invasiv“ (Knopflochchirurgie) vorgenommen, d. h. mit sehr geringer Belastung durch die Operation.
Das TVT-Band hat seit 1995 die Behandlung der Harninkontinenz revolutioniert. Während früher die Burch-Kolposuspension der Gold-Standard in der Inkontinenzbehandlung war, haben die Gewebebänder als minimal invasive Operationen mit hervorragenden Langzeitergebnissen dies nachhaltig geändert.
Die Abkürzung TVT steht dabei für „tension free vaginal tape”, auf deutsch also spannungsfreies Vaginalband.
Bei diesem Verfahren wird ein Gewebeband unter der Harnröhre eingelegt und im Bereich des Unterbauchs ausgeleitet. Das Gewebeband besteht heute zumeist aus einer Kombination von vom Körper abbaubaren und dauerhaft verbleibenden Netzbändern. Wichtig ist es, dass dieses Band ohne Spannung verlegt wird. Ziel des Bandes ist es, die Harnröhre bei Belastung zu stabilisieren und den unwillkürlichen Urinverlust aufgrund eines nicht ausreichenden Blasenverschlussmechanismus zu verhindern.
Alternativ zum TVT kann auch ein so genanntes TOT-Band eingesetzt werden. TOT steht dabei für „trans-obturator tape” Im Unterschied zum TVT erfolgt bei diesem Band die Ausleitung nicht im Unterbauch, sondern seitlich in den Oberschenkelbeugen (auf Höhe der Schamlippen). Der Vorteil dieser Variante ist, dass es zu weniger Verletzungen der Harnblase kommt und auch ein versehentliches übermäßiges Anspannen (also zuviel Spannung) nahezu sicher vermieden werden kann. Die Ergebnisse hinsichtlich der Kontinenzraten von TOT und TVT sind vergleichbar.
Die Kolposuspension nach Burch war über Jahre hinweg die wichtigste Korrekturoperation bei der Belastungsinkontinenz. Sie wurde auch als so genannter Gold-Standard bezeichnet.
Über einen offenen oder laparoskopischen Zugang wird das seitliche Scheidengewölbe über Halte-Nähte an einer festen körpereigenen Bandstruktur im Bereich der Leiste nahe der Schambeinäste aufgehängt. Das Verfahren hat ausgezeichnete Langzeitergebnisse. Die Operation wird heute meist minimal invasiv vorgenommen, z.B. als robotisch unterstützte Operation, die sogenannte Da Vinci Kolposuspension nach Burch.
Neben der Behandlung bei alleiniger Inkontinenz kommt der Korrektur des Beckenbodens ein sehr großer Stellenwert zu. Bei Senkung oder Vorfall von Blase, Scheide, Gebärmutter und Darm sind heute neben den klassischen Korrekturmethoden einige neue und ebenfalls wenig belastende Verfahren als Erweiterung der so genannten Prolaps-Chirurgie dazugekommen.
Zu unterscheiden sind hier die Verfahren, die von der Scheide aus vorgehen, von den Verfahren, die den Zugang über den Bauchraum wählen. Die Entscheidung über den Zugangsweg trifft der behandelnde Urogynäkologe aufgrund der vorausgegangenen Untersuchungen und in Abhängigkeit von Vorerkrankungen und Voroperationen.
Eine Senkung der Blase mit dem vorderen Scheidengewölbe kann je nach Ursache mit einer Raffung und/oder Stabilisierung der vorderen Scheidenwand (vordere Kolporrhaphie oder einer paravaginalen Kolpopexie ) behandelt werden.
Bei einem Vorfall des hinteren Scheidengewölbes (Rektozele) wird eine Raffung der hinteren Scheidenwand (hintere Kolporrhaphie) vorgenommen.
Diese Verfahren sind nur bei geringerer Bindegewebsschwäche ausreichend. Bei ausgeprägtem Vorfall und/oder erheblicher Bindegewebsschwäche sind jedoch die Netzplastiken, bei denen durch Einlage eines dauerhaft verbleibenden Netzes die Anatomie wiederhergestellt wird, von Vorteil. Diese Netze entsprechen denen, die sich auch bei der Behandlung von Leistenbrüchen bewährt und weitgehend durchgesetzt haben.
Zur Verstärkung des Beckenbodengewebes kann von der Scheide aus zur Blase oder zum Enddarm hin ein Kunststoffnetz eingebracht werden. Die Netze werden sicher verankert und stellen die normale Anatomie wieder her.
Diese modernen Verfahren haben in geübter Hand hervorragende Langzeitergebnisse. Aber auch wenn die beschriebenen Eingriffe „minimal-invasiv” sind, also wenig belastend sind, so ist die Information über den Eingriff, sowie auch über mögliche Komplikationen und Schwierigkeiten im Vorfeld besonders wichtig.
Die Sakrokolpopexie dient der Wiederherstellung des Beckenbodens. Über den offenen oder laparoskopischen Zugangsweg kann der Eingriff auch mit anderen ggf. notwendigen Operationen, wie Inkontinenzoperation nach Burch oder der Entfernung der Gebärmutter kombiniert werden.
Laparoskopische Operationstechniken verbinden die Vorteile der altbewährten Techniken mittels Bauchschnitt mit jenen der weniger belastenden Schlüssellochchirurgie. Seit 2007 wird der Eingriff auch mit der Da Vinci Technik (sogenannte Da Vinci Sakrokolpopexie) durchgeführt. Die Da Vinci Methode bietet neben der kosmetisch günstigeren Schlüssellochtechnik mit robotischer Unterstützung eine besonders präzise und sichere Operation mit sich. Entscheidend ist jedoch immer, dass die richtigen Indikationen für laparoskopische oder offene Verfahren gewählt werden. Bei der Sakrokolpopexie wird eine Fixation der Scheide mittels eines dauerhaft im Körper verbleibenden Gewebenetzes im Bereich der Kreuzbeinhöhle vorgenommen und die Anatomie damit wiederhergestellt.
Kommt es bei der Dranginkontinenz (neurogen bedingt oder mit nicht weiter klärbarer Ursache) zu keiner Besserung der Symptomatik trotz der Einnahme von anticholinergen Medikamenten, die hemmend auf die Harnblase wirken, steht die Botox-Injektion zur Wahl: Botulinum Toxin A ist den meisten Patienten im Zusammenhang mit der Ästhetischen Chirurgie (z. B. Behandlung von Fältchen im Gesicht) bekannt, aber auch in der Urologie wird dieses Medikament äußerst erfolgreich eingesetzt.
Botulinum Toxin ist die wissenschaftliche Bezeichnung für das Gift der Milzbrandbakterien (Clostridium botulinum). Dieses in richtiger Dosierung auch als Medikament einsetzbare Gift, hat als früher vom Militär eingesetztes Nervengift traurige Bedeutung erlangt. Botulinum-Toxin (BTX) ist das stärkste bekannte Gift, bereits 10 ng können einen erwachsenen Menschen töten. Seit einigen Jahren steht BTX nun als Medikament zur Verfügung. Drei verschiedene Präparate werden angeboten, die zunehmend für Funktionsstörungen der Muskulatur eingesetzt werden.
Zur Therapie der Dranginkontinenz wird das Medikament stark verdünnt bei einer Blasenspiegelung über eine dünne Nadel an sehr vielen Stellen in den Blasenmuskel eingespritzt. Das Medikament hemmt die Freisetzung eines Überträgerstoffes (Acethylcholin) am Übergang vom Nerv zum Blasenmuskel, so dass ein überaktiver Blasenmuskel „ruhig gestellt“ wird. Bis diese Ruhigstellung eintritt, können ein bis drei Wochen vergehen. Das Verfahren ist sicher. Angst vor einer Vergiftung ist bei sorgfältiger Anwendung durch einen erfahrenen Arzt nicht begründet. Die Injektion von Botulinum Toxin A führt bei vielen Patienten zu einer deutlichen Besserung ihrer Beschwerden für einen Zeitraum von neun bis zwölf Monaten. Danach muss die Behandlung wiederholt werden.
Bei dieser Therapieform werden die Nervenfasern, die die Blase und den Schließmuskel versorgen, durch einen so genannten Blasenschrittmacher gesteuert. Hierbei werden dünne Elektroden an die Nerven im Bereich des Steißbeins implantiert. Durch die sich anschließende, nicht schmerzhafte elektrische Nervenstimulation kann auf die Blasenfunktion eingewirkt werden, so dass eine Normalisierung einer zuvor fehlgesteuerten Blasenfunktion möglich ist.
Vor einer dauerhaften Anwendung dieser Therapieform erfolgt zunächst eine Testphase über ca. sieben Tage („PNE-Test”), in der untersucht wird, ob der Patient für diese Therapieform in Frage kommt. Bei erfolgreichem Test wird neben dauerhaften Elektroden ein Blasenschrittmacher (Neuromodulator) implantiert. Der Patient erhält anschließend eine Fernsteuerung, mit der er die Blasenentleerung durch Stimulation der Nerven gezielt auslösen bzw. unterdrücken kann. Über diese Fernsteuerung wird auch die Stärke der Stimulation eingestellt. Dieses Verfahren wird nur in wenigen neurourologischen Zentren angeboten.